Bericht von der Graduiertenkonferenz Parteienwissenschaften in Düsseldorf

von AP

Graduiertenkonferenz Parteienwissenschaften (Quelle: IParl)

Vom 2. bis 3. Februar 2018 fand an der Heinrich-Heine-Universität die 9. Düsseldorfer Graduiertenkonferenz Parteienwissenschaften (GraPa) statt. Die vom Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF) ausgerichtete Konferenz bietet interessierten Doktoranden im Bereich der Parteienwissenschaften ein internationales Forum, um ihre Forschungsarbeiten vorzustellen und zu besprechen. In insgesamt zehn Panels wurden 20 Dissertationsprojekte präsentiert.

Panel 1: Descriptive Representation

Unter der Panel-Leitung von Lea Bönisch stellte Oana Buta von der Universität Bamberg im ersten Panel ihr Forschungsprojekt zur Nominierung von Roma-Kandidaten vor. In diesem geht sie der Frage nach, warum Roma-Kandidaten bei den rumänischen Kommunalwahlen 2016 von den etablierten Parteien auf der Liste nominiert wurden und was für die Nominierung ausschlaggebend war. Buta zeigt, dass es nicht ausreichend ist nur Faktoren auf Parteiebene zu betrachten − wie zum Beispiel die Parteigröße, der Wettbewerb und die Wiederwahlrate −, sondern diese in Verbindung mit parteiübergreifenden Faktoren analysiert werden müssen, um zu validen Aussagen zu kommen.

Mit der Repräsentation von Minderheiten beschäftigt sich auch das Dissertationsprojekt von Aimie Bouju der Universität Duisburg-Essen. Bouju untersucht mittels Experteninterviews, inwiefern der Migrationshintergrund eines Bundestagskandidaten in der (Vor-)Wahlkampfzeit eine Rolle spielt, und ob damit versucht wird, einen Bezug zu Wählern mit Migrationshintergrund zu schaffen. Erste Interviews mit SPD- und CDU- Kandidaten zeigen, dass der Migrationshintergrund für eine Kandidatur nur in Zusammenhang mit anderen Eigenschaften als entscheidendes Kriterium fungiert.

Panel 2: Electoral Campaigns

Das zweite Panel wurde von Michael Angenendt moderiert und startete mit der Präsentation von Gert-Jan Put und Jef Smulders von der Universität Leuven zum Thema Gender-Quoten. Sie möchten herausfinden, ob in Belgien durch die Einführung von Geschlechterquoten die Ungleichheit in der individuellen Kampagnenfinanzierung von männlichen und weiblichen Parlamentskandidaten gestiegen ist. Anhand der Untersuchung von Parlaments- und Regionalwahlen zeigen sie im Zeitverlauf auf, dass die in Belgien vergleichsweise strikte Quotenregelung nicht zwangsläufig zu einer Angleichung in der Kampagnenführung führte: Frauen investieren auf realistischen Positionen aktuell zwar fast genauso viel wie ihre männlichen Kollegen, sind auf diesen Positionen aber auch nach wie vor unterrepräsentiert.

Nicht um Quoten, sondern um Emotionen geht es Tristan Klingelhöfer von der Johns-Hopkins-Universität in seinem Dissertationsprojekt zum „leidenschaftlichen“ Parteienwettbewerb bei der Bundestagswahl 2017. Er untersucht die unterschiedlichen emotionalen Strategien der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien und ihre Wirksamkeit. Hierfür war er auf zahlreichen Parteiveranstaltungen und analysierte die dort gehaltenen Reden der Spitzenkandidaten. Besondere Aufmerksamkeit erregte die innovative Methode, die Klingelhöfer im Rahmen seines Forschungsprojektes testete: eine automatische Stimmungsanalyse (automated sentiment analysis), bei der jedes Wort automatisch auf Basis eines umfassenden Wörterbuchs auf seine emotionale Tonalität hin bestimmt wird. Er stellte jedoch heraus, dass die Methode zur Analyse von Parteiveranstaltungsreden nicht immer zu fehlerfreien Ergebnissen führt, weshalb er überlegt, diese zu modifizieren, um eine weitere Methode zu ergänzen oder auch zu ersetzen.

Panel 3: Parties within the European Union

Das dritte Panel wurde von Lucy Kinski geleitet und beschäftigte sich mit den Parteien in und ihrem Verhältnis zu der Europäischen Union. Wouter Wolfs von der belgischen Universität Leuven untersucht auf Basis des akteurzentrierten Institutionalismus nach Renate Mayntz und Fritz W. Scharpf, wie die europäischen Parteien den wechselnden Regularien zur politischen Finanzierung gerecht werden und auf welche Ursachen die diesbezüglich neueste Reform von 2017/18 zurückzuführen ist. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass die letzte Reform eine unmittelbare Folge der unterschiedlichen Reaktionen der Europaparteien auf die stetig wechselnden Regularien darstellt.

Wie sein Vorredner kam auch Gilles Pittoors von der Universität Gent aus Flandern nach Düsseldorf gereist. In seiner Dissertation möchte er herausfinden, wie sich die flämischen Parteien gegenüber der EU organisieren und wie stark die Verknüpfung zwischen der nationalen Parteiführung und EU-Vertretern ist. Obwohl Pittoors eine unterschiedliche EU-Koordinierung von Partei zu Partei feststellen kann, stellt er klar heraus, dass Parteivertreter auf EU-Level weitgehend autonom von der nationalen Parteiführung agieren.

Panel 4: Partisanship

Als Moderatorin im Panel „Partisanship“ übergab Sophie Karow zunächst Daniel Saldivia von der Universität zu Köln das Wort. In seinem Dissertationsprojekt untersucht er in welchem Ausmaß und aus welchen Gründen auswählende Parteimitglieder bei direktdemokratischen Entscheidungen den Vorschlag der Partei folgen oder nicht. Dabei steht das Brexit-Referendum im Mittelpunkt seiner Analyse zum Wahlverhalten.

Auch Aino Tiihonen von der Universität in Tampere forscht zum Wahlverhalten – im Gegensatz zu Saldivia allerdings in Finnland. Sie möchte herausfinden, inwieweit die finnische Arbeiterklasse sich immer mehr von ihrer sozialdemokratischen Parteiidentifikation löst und welche Rolle die Gewerkschaften im konstatierten Dealignment-Prozess spielen. Ihr Fazit: Die Parteiidentifikation hat unter finnischen Arbeitern, die gleichzeitig Gewerkschaftler sind, stärker abgenommen als bei Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern.

Panel 5: Party Organization

Valeria Smirnova leitete das Panel zur Parteiorganisation, in dem Anne Küppers von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ihre Untersuchung zu den Auswirkungen von Urwahlen bei der Wahl von Parteivorsitzenden vorstellte. Anhand eines Datensatzes zu allen Wahlen von Landesparteivorsitzenden der SPD und der CDU seit 1990 kommt sie zu dem Schluss, dass Urwahlen geringfügig positive Mitgliedschaftsentwicklungen zur Folge haben und oftmals mehrere Bewerber antreten. Gleichzeitig tendieren Parteimitglieder in Urwahlen dazu, stärker professionalisierte Kandidaten auszuwählen. Besonders bemerkenswert ist ihr „Trümmerfrauen“-Befund: Frauen werden vor allem dann zu Landesvorsitzenden gewählt, wenn die Partei Wahlniederlagen eingefahren hat.

Panel 6: Populism

Unter dem Vorsitz von Gregor Zons fand ein Panel zu den Schnittmengen zwischen den Parteienwissenschaften und der aktuellen Populismusdebatte statt. Belén Fernández-García von der Universität Granada versuchte dabei den Unterschied zwischen dem rechten und dem linken Populismus in Westeuropa herauszuarbeiten. Dazu vergleicht sie die Parteiprogramme aus dem Manifesto-Datensatz von UKIP, Sinn Féin, Podemos und der Schweizerischen Volkspartei bezüglich ihrer populistischen Merkmale.

Einen anderen Typus des Populismus möchte Nicholas James Barlow von der Queen Mary University of London herausarbeiten. Ebenfalls auf Grundlage der Manifesto-Daten identifiziert er die Beziehung von zentristischen und populistischen Parteien. Seine Prognose: Möglicherweise werden mit der Zeit populistische Parteien der Mitte entstehen.

Wie sich Populismus auf die Binnenorganisation von Parteien auswirkt und ob es eine bestimmte Form der populistischen Parteienstruktur gibt, hat Davide Vittori von der Freien Internationalen Universität für Soziale Studien (LUISS) in Rom untersucht. Anhand des organisatorischen Aufbaus der Parteien MoVimento 5 Stelle, Front National, Podemos und Syriza analysiert er jeweils das Verhältnis der drei Gesichter einer Partei: an der Basis, im Parteivorstand und im Parlament. Ihre Ablehnung des politischen Establishments und der Einsatz für „echte Volksherrschaft“ müsste sich, so seine Annahme, auch in ihrer Struktur niederschlagen. So kommt er vorerst zu dem Schluss, dass es keine typisch populistische Organisation gibt, aber die MoVimento 5 Stelle dem populistischen Ideal wohl am nächsten käme.  

Panel 7: Governmental Stability

Prof. Thomas Poguntke moderierte gleich zwei Panels. Im Panel „Governmental Stability“ stellte Maria Thürk ihre gemeinsame Arbeit mit Svenja Krauss an der Humboldt-Universität zu Berlin vor. Sie untersuchten zusammen die Regierungsstabilität von Minderheits- und Mehrheitsregierungen im Vergleich. Dabei fanden sie heraus, dass Minderheitsregierungen genauso lange im Amt bleiben wie Mehrheitsregierungen, wenn Unterstützungsabkommen mit den sie duldenden Fraktionen oder Einzelpersonen vorliegen.

Panel 8: Parties and Political Systems

Über dem Panel „Parties and Political Systems“ stand die Frage: Sind in Krisenzeiten immer die Parteien schuld? Mit diesem ambitionierten Thema beschäftigt sich Vicente Pons Marti von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Dazu untersucht er die Wahrnehmung von Parteien in den USA und Großbritannien im 19. Jahrhundert in der theoretischen Debatte ihrer Zeit.  

Panel 9: Intra-Party Politics and Representation

Unter der Moderation von Johannes Schmitt wurde den Fragen der innerparteilichen Politik und der Repräsentation nachgegangen. In diesem Zusammenhang stellte Florence Nocca vom Institut für Europastudien an der Sciences Po Paris ihr Forschungsprojekt vor, in dem sie versucht zu ermitteln, wem die Abgeordneten gegenüber responsiv sind. Sie bezieht Eldersvelds Stratarchiekonzept in ihre Forschung ein und versteht demgemäß Parteien als vielfältig differenzierte Organisationen. Daraus generiert sie den Plan, eine Vielzahl an Umweltfaktoren wie das Wahlsystem, die innerparteiliche Binnendifferenzierung und die Binnendifferenzierung der Wählerschaft auf ihren Einfluss in Bezug auf die inhaltliche Positionierung von Abgeordneten zu testen.

Einen in der Parteienforschung ungewöhnlichen Ansatz verfolgt Arseniy Lobanovskiy von der Universität Tampere. In seiner Dissertation möchte er sein Forschungsprojekt für die Masterarbeit ausbauen. In dieser untersuchte er, wie gut Parteien darin sind, die von den Wählern nachgefragten Policy-Positionen einzunehmen. Um dabei den innerparteilichen Entscheidungsprozess zu simulieren, führte er mehrere Testreihen von Laborexperimenten durch und kam zu dem Schluss, dass Parteien sich spieltheoretisch überwiegend rational verhalten.

Chantal Sullivan-Thomsett von der Universität Leeds plant zu untersuchen, warum die deutschen Grünen – obwohl sie mittlerweile eine professionalisierte Partei sind − immer noch das Mittel des öffentlichen Protests nutzen. In ihrem Forschungsprojekt soll dabei die „Gentrifizierung“ des Protests im Vordergrund stehen.

Panel 10: Party Law

Im Panel über Parteiengesetze unter dem Vorsitz von Prof. Martin Morlok begann Edoardo Caterina von der Sant‘Anna School of Advanced Studies in Pisa mit der Präsentation seines Forschungsthemas. In seiner historischen Rückschau veranschaulichte er, wie der für die Parteien essenzielle Artikel 21 des Grundgesetzes entstanden ist. Er fand heraus, dass die Idee des Parteienartikels nicht spezifisch deutsch war, sondern zur selben Zeit auch in Frankreich und Italien über denselben Gegenstand nachgedacht wurde. Dabei zeichnet Caterina genau nach, wie die Ideen aus diesen drei Ländern einander beeinflussten.

Anhand eines Vergleichs der Parteienstatute in der Ukraine und Deutschland will Kateryna Pesotska von der National University of Kyiv-Mohyla Academy herausfinden, ob strengere rechtliche Vorgaben dazu führen, dass Parteien demokratischere Strukturen herausbilden. Sie schaut sich dazu die Vorgaben und die Praktiken bei der Auswahl von Parteivorsitzenden, Parlamentskandidaten und Budgetentscheidungen an und möchte sie mithilfe eines Index zur Messung innerparteilicher Demokratie untersuchen.

Zuletzt referierte Amandine Rat von der Pariser Universität Panthéon-Assas über die Beteiligung von Parteien am öffentlichen Rundfunk. Ausgehend von der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fragt sie, ob Parteien zum Staat gehören oder ob man sie als Fünfte Gewalt verstehen kann.

Mit diesem Vortrag gingen für alle Teilnehmer zwei erkenntnis- und lehrreiche Tage zu Ende. In seinen Schlussworten ermunterte Prof. Morlok alle Anwesenden, der Tradition des wissenschaftlichen Austausches treu zu bleiben.

                                                                    (Text: Anastasia Pyschny und Daniel Hellmann)

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