Bundestagswahl 2017 auf Tagung in Tutzing besprochen

Tagungsgebäude in Tutzing (Bild: Akademie für Politische Bildung Tutzing)

Auch in diesem Jahr lud die Akademie für Politische Bildung in Tutzing zur Analyse der Bundestagswahl mit Wissenschaftlern sowie Vertretern von Parteien und Meinungsforschungsagenturen. Neben demoskopischen Befunden zum Wahlergebnis und medialen Aspekten des Wahlkampfes wurden Koalitionsbildungen sowie die Positionen und möglichen Strategien der Parteien thematisiert. Gewissermaßen als roter Faden der Tagung fungierte die Einschätzung, dass das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 eine Zäsur sei, denn auch wenn mit Blick auf Europa populistische Kräfte im Parlament nicht ungewöhnlich sind, ist es in Deutschland etwas Neues.

Zu populistischen Tendenzen und Parteien äußerte sich der anlässlich seines 75. Geburtstags auf der Tagung geehrte Prof. Heinrich Oberreuter. Ausgehend von seiner Feststellung, dass der Begriff Populismus einer ist, „mit dem der Mensch nicht umgehen kann“, erfordere dessen Komplexität eine differenzierte Betrachtungsweise. So sei Populismus zunächst „abgesehen davon, dass er anti-institutionell ist, seinem Wesen nach etwas, das sein muss.“ Es lasse sich kein Politiker finden, der nicht den Willen des Volkes (populus) befürwortet. „Alles, was nach Demokratie riecht, ist gut. Aber es gibt Mehrheiten, die stinken“, wie Oberreuter mit Rekurs auf die Zeit des Nationalsozialismus warnt. Seiner Ansicht nach ist die Proklamation „Wir sind das Volk“ in einem Land wie Deutschland, das eine Vorreiterrolle bei der institutionellen Garantie der freien Entfaltung und politischen Beteiligung des Individuums einnimmt, eine arrogante. „Der Frage, wer ist das Volk, kann man nur eine Antwort geben: Das Volk ist plural. Es muss in seiner Vielfalt artikuliert und repräsentiert werden“. Gerade die Existenz und Berücksichtigung von Minderheitenmeinungen sind „das Adelsprädikat einer Demokratie“.

In diesem Sinne lässt sich festhalten, dass das Parteiensystem gegenwärtig wie zukünftig in Bewegung ist und bleiben wird. Neue Parteien werden kommen und können wieder verschwinden, denn es gilt: „Die Gesellschaft schafft sich Parteien. Stimmungen in der Bevölkerung werden sich einen organisatorischen Arm schaffen.“ Etablierte Parteien sollten deshalb nicht verwundert sein, dass neue Kräfte Lücken der Repräsentation besetzen.

Nach Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin gelte es nicht den Themen der Populisten nachzulaufen, sondern eigene zu setzen und Positionen zu beziehen. Die AfD sei sowohl Herausforderung wie auch Symptom einer Krise. Diese bestehe in einem „Disconnect zwischen den Parteien und der Bevölkerung“. Daten des Instituts für Demoskopie Allensbach legen nahe, dass der Höhepunkt der so genannten Vertrauenskrise in die Politik überschritten ist. „Der Boden für populistische Parteien scheint auszutrocknen“, so die Einschätzung von Thomas Petersen. Dennoch liege das Potential populistischer Parteien bei bis zu 20 Prozent der Wählerstimmen. Demoskopen warnen daher vor einer Über-, aber auch Unterschätzung der AfD. Weder stelle sie das Ende der Demokratie dar noch würde sie sich selbst zerstören. Vielmehr spiegele sie eine Stimmungslage der Bevölkerung.

Neu daran sei, dass Populismus und seine Unterstützung innerhalb der Bevölkerung immer weniger ein gesellschaftliches Tabu seien. Dies ist vielleicht die eigentliche Herausforderung für alle Beteiligten – Parteien, Medien, Wissenschaft und Bevölkerung. Einen Anfangspunkt bildet die Akzeptanz und Auseinandersetzung mit der neuen Realität.

(Text: Nathalie Repenning)

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